Monatsbrief März - April 2012

|   Monatsbriefe

Friedrichsdorf, den 19. März 2012

Wer nicht zum Grunde geht,

wird zu Grunde gehen.

Nach Sören Kierkegaard

 Geh in deinen eigenen Grund.

Denn in deinem Grund

sind dein Sein und Gottes Sein,

ein Sein.

Meister Eckardt

 

Liebe Mystik- und Kontemplationsinteressierte !

Liebe Weggefährtinnen und Weggefährten !

Mitten in der Passionszeit versende ich diesen Monatsbrief. Diese Zeit ist dem Gedenken der Leidensgeschichte Jesu gewidmet. Es kann nicht ausreichend betont werden, dass es sich dabei nicht um eine Leidversessenheit der christlichen Tradition handelt, sondern dieses Gedenken einen Ausdruck des Befreiungswillens darstellt. Es geht – wie immer auf dem kontemplativen Weg – um das, was ist. Dies bedeutet einen Pfad zwischen Leidversessen- und Leidvergessenheit. Es geht um die Anerkenntnis dessen, was ist, ungeschminkt, ungedeutet, es geht um die So-heit. Sowohl die Leidversessenheit, also das gebunden Bleiben an alte lebensgeschichtliche Erfahrungen des Leides und Schmerzes, als auch das Verleugnen, Bagatellisieren des Schmerzlichen werden dem nicht gerecht. Beide Haltungen vermehren auf tragische Weise das Leid.

Wer nicht zu Grunde gehen, dem Schmerzlichen nicht begegnen will, droht gerade in dieser Verweigerung des Lebens zu Grunde zu gehen. Diese Weigerung programmiert eine Flucht vor sich selbst, behindert den Kontakt mit dem Herzen und verstrickt auf tragische Weise. In die Tiefe zu gehen wirkt gefährlich und bedrohlich. Viele der unreifen Ausdrucksformen unserer Gesellschaft, scheinen hierin ihre Ursache zu haben. Daraus erwachsen süchtiges Verhalten, kindische Konsumwünsche und die Verweigerung der Verantwortungsübernahme für eigenes Handeln – individuell wie kollektiv.

Die gegenwärtige Kirchenjahreszeit führt uns einen Transitus, einen Durchgang vor Augen, den wir christlich mit Auferstehung bezeichnen. Es gibt zum Himmel schreiendes Leid, schicksalhaftes,  menschengemachtes, Gewaltverhältnissen geschuldetes, unendliche Wiederholung der Retraumatisierung. Dies braucht der Erlösung. Der erste Schritt dazu ist das Ansehen und Wahrnehmen. Kann es gelingen, dem standzuhalten? Dies gelingt sicher nicht auf der Ebene der einzelnen Person. Es benötigt der Verbundenheit in der Tiefe.

Die spirituellen Traditionen tragen an dieser Stelle zwei Einsichten bei: Die tiefste Wirklichkeit ist nicht das Getrenntsein. Die tiefste Ebene der Wirklichkeit ist die Verbundenheit. Im Grunde angekommen erfahre ich, dass mein Sein, das Sein der anderen und Gottes Sein gar nicht getrenntes Sein darstellt. Das Leid wie das Glück der anderen hat eine Wirkung auf mich. Und zweitens: Es ist diese Verankerung im gemeinsamen wahren Wesen, im Sein, in Gott, die den inneren Raum wachsen lässt, dem Leid nicht abwehrend, verneinend begegnen zu müssen, sondern es bergen zu können.   

Um diese Erfahrung geht es in dem, was wir in den nächsten Wochen begehen und feiern: Auferstehung, die Liebe ist stark, ja stärker als der Tod, mein tiefstes Wesen kennt weder Geborenwerden noch Sterben. Ich wünsche Euch, Ihnen, uns gemeinsam diese Erfahrung und freue mich auf gemeinsames Praktizierens des kontemplativen Weges, der uns in diese Erfahrung führen will.  

 

Sven-Joachim Haack