Monatsbrief Oktober – November 2011

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Friedrichsdorf, Anfang Oktober

 

Liebe Mystik- und Kontemplations-Interessierte!

Liebe Weggefährtinnen und Weggefährten auf dem inneren Weg!

In diesen letzten Tagen des goldenen Herbstes gab es Momente großer Stille. Kein Lufthauch, es schien als stünde die Zeit still. Ausdruck dieser manchmal sogenannten fünften Jahreszeit. Blätter fallen, aber noch nicht vom Wind gepeitscht, sondern sanft und still, eher schwebend. Die Zeit des großen Lassens. Die Natur macht uns vor, was es für uns zu lernen gälte: Das vertrauensvolle Loslassen in die Gezeiten des Lebens hinein. Mich berührt dies in diesem Jahr in besonderer Weise. Was gilt es für mich zu lassen? Manches ist mir fragwürdig geworden in diesem Jahr, Dinge, die seit Jahren festgefügt schienen, Antworten, die lange zu befriedigen schienen, Überzeugungen, denen ich mich verpflichtet wusste. So stellt der Herbst die Frage nach dem, was zu Ende gehen, gelassen werden will.

Mich beschäftigt neben diesen eher persönlich geprägten Gedanken aber auch ein Begriff, der mich seit einiger Zeit begleitet und mir nicht aus dem Kopf geht: erschöpfte Institutionen. Vielfältig scheint es mir aber, als bewegte ich mich in solch erschöpften Institutionen, in bis an die Grenze des Zerreisens angespannte Einrichtungen. Alle Bemühungen um Effizienz und Qualität, Standardisierung und Vernetzung scheinen etwas Erschöpfendes zu bekommen. So erlebe ich es im klinischen Kontext und ebenso im kirchlichen, aber auch im Blick auf andere Formen der gesellschaftlichen Institutionalisierungen. Nach wie vor gibt es hochmotivierte und engagierte Mitarbeitende dort und gleichzeitig scheint der durchschnittliche Erschöpfungsgrad zuzunehmen. Individuell drückt sich dies in der gesellschaftlichen Debatte um Burnout aus, gesellschaftlich in den Phänomenen des Zerfalls von Institutionen. Natürlich weiß ich keine einfachen Antworten, aber es wird doch etwas mit der Frage zu tun zu haben, was es zu lassen gilt.

Die großen Veränderungen, in denen wir uns befinden, bzw. die sich ankündigen werden vermutlich dreierlei dringend bedürfen: Verankerung und Einfachheit und Vernetzung. Um in den Stürmen nicht entwurzelt zu werden braucht es Verankerung im Sein selbst, in dem was ist, was wirklich ist. Es ist die Einfachheit, die dies fördert, der Augenblick, die Gegenwart, das Gewahrseins. Und es braucht der Vernetzung gegen die zerstörerischen Seiten von Individualisierung und Vereinzelung. Ich wünsche mir sehr, dass diese Seite unserer Friedrichsdorfer Initiative weiter an Kraft gewinnt. Wie können wir als Einzelne, aber auch als Weggemeinschaft etwas zu einer lebensförderlichen und schöpfungsfreundlichen Lebenskultur beitragen? Ich bin tief davon überzeugt, dass die Hinwendung zu Stille, Gewahrsein und Innehalten uns dort Wege zu weisen vermag.

In Vorfreude auf weitere Weggemeinschaft grüße ich herzlich.

 

Sven-Joachim Haack