Monatsbrief April 2020

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Liebe Weggefährtinnen und Weggefährten!

Liebe Mystik- und Kontemplationsinteressierte!

Diese Karte von Grafic stetc hängt seit vergangener Woche auf A2 vergrößert an meiner Tür. Das erschien mir als passender Ausdruck für die gegenwärtige Zeit, aber auch für die kontemplative Übung.

Relax, entspann Dich, lasse los! Als Einladung ins Unvermeidliche. Diese Tage und Wochen führen vor Augen wie verletzlich, brüchig und gefährdet all das ist, was wir als vermeintliche Sicherheit aufgebaut haben.

Kontrolle ist ein hohes Gut und wir investieren viel, um den Anschein zu erwecken, sie zu behalten. Pandemie aber lehrt uns den Kontrollverlust, das Nicht-Wissen. Wir ergreifen einschneidende Maßnahmen in der Hoffnung auf ihre Wirkung. Aber auch dies ist eher ein ahnendes Tasten als ein gesichertes Wissen.

Und so hoffe ich zunächst, dass dieser Monatsbrief Dich bei guter Gesundheit erreicht. Und es für Dich Verschonung geben möge von den verschiedenen grassierenden Viren. Das sind vornehmlich das C, A/P, B und V Virus zu nennen, welche zusammen erscheinen. Das Coronavirus ist sicher das Deutlichste. Ihm folgt und verbunden ist das A und P Virus: das Angst und Panikvirus. Sie gehören zusammen und das Angstvirus hat ja wie immer auch eine förderliche Komponente: es warnt vor Gefahr, macht vorsichtig und bedächtig, reduziert Risiken, hilft zu bestehen, solange es nicht zum lähmenden P Virus mutiert. Gut zu studieren ist auch das B Virus, das Bedürftigkeitsvirus. Oft aktualisiert die gegenwärtige Situation alte, ja uralte Erfahrungen von: es reicht nicht für mich, ich komme zu kurz, meine Bedürfnisse werden nicht gestillt. Und dann kauft jemand 30 kg Mehl und 20kg Zucker und dreißig Packungen Toilettenpapier. Und so reicht es wirklich nicht für alle. Bliebe noch das V Virus, das Verschwörungsvirus. Da ist das C Virus dann wahlweise einem chinesischen oder amerikanischen Labor entsprungen, oder ein ganz ausgeklügelter Plan demokratische Rechte abzuschaffen.

Noch ist unabsehbar, wie das enden wird, aber jedes Virus hat große beeinträchtigende Kraft. Relax, nothing is under control.

Und das haben wir ja geübt: uns in die Stille zu setzen, ohne zu wissen, was kommt, ohne die Kontrolle zu haben, uns überlassend und ins Nichtwissen hinein zu entspannend. Und Du kannst in diesem Augenblick Deine Aufmerksamkeit dem bergenden, tragenden Grund zuwenden und den Boden unter Deinen Füßen und Deine Sitzfläche gewahren. Ganz leibhaftig, in aller Unsicherheit und Vorläufigkeit. Das aber ist uns verheißen und zugesichert, Augenblick für Augenblick.

Noch in einer weiteren Perspektive gibt es eine Verwandtschaft zwischen aktueller Situation und Weg: Hier eine Willigis Zitat: „Wenn jemand intensiv einen spirituellen Weg geht, kommt oft der Augenblick, in dem die herkömmlichen Gottesbilder und Lebensdeutungen zerbrechen. Dogmatische Aussagen erscheinen leer. Die Festigkeit der Welt scheint sich aufzulösen. Der Halt, den das Bild von einem liebenden Gottvater oder einem Bodhisattwa gab ist verschwunden. Die Heilsbringer der jeweiligen Religion, an die man sich nur anhängen brauchte, sind nicht mehr da. Alle Möglichkeiten sich festzuhalten existieren nicht mehr, Verlorenheit und Einsamkeit können ins Bodenlose wachsen. Dieses Erleben nennt die Mystik dunkle Nacht der Seele“.“

Auch hier gilt: relax - nothing is under control! So ist Hingabe an das, was ist und nicht Kontrolle Grundlage der Übung. So wie auch jetzt in unserer Situation gilt auch in der Übung immer aufs Neue: was ist jetzt? Und was ist dem angemessen. Jenseits der vorgefertigten Konzepte, dem Augenblick verpflichtet. „Fahren auf Sicht“ sozusagen. So sind wir durch die Übung durchaus vorbereitet auf diese Ausnahmesituation und etliche Äußerungen habe ich gehört, die die Stille durch fehlende Flugzeuge genießen.

Und vielleicht eröffnet das Runterfahren ja auch ungeahnte Übungsräume und Zeiten im Alltäglichen. Für mich zumindest ist das im Moment so. Nachdem mein kirchlicher Chef mir in einem Akt der Fürsorge Hausverbot in der Klinik bis zunächst 21.4. erteilte und mich ins home office versetzte.

Noch ein Gedanke ist mir wichtig: Der Augenblick besteht bei umfänglichem Gewahren ja nicht nur aus Krise und Pandemie: Hier vor meinem Schreibtisch Zuhause, er steht am Fenster zu meinem kleinen Gärtlein mit einem Quellstein, Sandsteinen vom Benediktushof, leuchtet mir seit Tagen eine strahlende, sich im Wind wiegende Narzisse  unter strahlend-leuchtenden Forsythienbüschen entgegen. Auch das gehört zur Ganzheit dieses Momentes: ein wie alljährlich wunderbarer und zauberhafter Frühling.

Auch in diesem Monatsbrief Hinweise auf Praxismöglichkeiten, Termine und Infos.

Ihr erahnt schon: fast alles wird nicht in der vorgesehenen Form stattfinden können.

Kontemplationstag 4. April am Benediktushof. Der Hof ist bis mindestens 19.4. geschlossen, deshalb muss Kontemplation am Samstag, als auch unser Tag ausfallen. Dies soll aber nicht alternativlos geschehen. Deshalb findet Ihr hier, wie auch auf der Website Übungsanleitungen, die Euch einladen und helfen sollen, den Tag für Euch zu gestalten.

Die Struktur könnte sein: Eine angeleitet Übung; Gehen, eine Runde Sitzen, 2. Angeleitete, Gehen, eine Runde Sitzen in Stille, Gehen 3. Angeleitete, Gehen, eine Runde Sitzen. Natürlich kannst Du auch Dreierpacks daraus machen und zwischen den Angeleiteten zwei Runden Sitzen. So kommst Du auf 6 oder 9 Runden. Ein Tag für Dich. Sei es am 4.4. oder wann immer es passt oder es Dich ruft.

Hier die Links dazu:

Anleitung förderliche Haltung und Atembetrachtung

Anleitung schauen ins nackte Sein

Wahlweise Hinführung zu Selbstmitgefühl oder Meditation der Verwirklichung:

Angeleitete Meditation Verwirklichung

Selbstmitgefühl

Nutzt dies für Euch wie es passt.

Die Abende der Stille und Kontemplation müssen leider für Externe bis mindestens Ende April entfallen. Die Klinik ist mindestens bis Ende April für Besucher geschlossen. Ich hoffe intern für Patienten und Mitarbeiter am 23.4. wieder starten zu können.

Ebenso entfällt der Osterkurs am Benediktushof leider.

Deshalb muss auch das Friedrichsdorfer Gespräch Spiritualität und Heilung am 16.4. mit Petra Wagner leider ausfallen und verschoben werden.

Und dann die große Frage: was wird danach im Mai? Ich hoffe auf Aufnahmemöglichkeit der gemeinsamen Praxis, aber sicher ist das noch keinesfalls.

So ermutige ich Euch zur Fortführung und Vertiefung Eurer eigenen individuellen Praxis. Und stehe Euch für Fragen dazu gern telefonisch oder digital zur Verfügung.

Relaunch Website

Womöglich trifft es sich in dieser Situation gut, dass ein Relaunch der Website nötig war. Da die Seite in der Impulspost Ostern der EKHN verlinkt wird und deshalb kurzfristig mit höheren Zugriffszahlen zu rechnen ist, stellte sich die Frage, ob die Seite dafür ausgelegt ist. Ist sie nicht. Bei dieser Gelegenheit teilte uns unser Anbieter mit uns sowieso auslagern zu wollen, da er sich auf das Geschäft mit Großkunden fokussiert. So war ein Umzug auf einen anderen Server nötig. Dieser hat den Charme als klimaneutral zertifiziert zu sein. Dies ergab die Möglichkeit zu einigen Veränderungen. Technisch: die Anpassung für digitale Endgeräte, Einführung neuer Rubriken.

Inhaltlich findet Ihr zukünftig eine Reihe von Videos auf der Seite            (Vortrag Was ist Kontemplation, Interview zu Krisen auf dem Weg, ein Kurstag im Kontemplationskurs). Ihr findet dies auf der Homeseite und unter der Rubrik Texte/Audios/Videos. Es wird zukünftig auch auf der Startseite einen aktuellen Vortrag oder Ansprache  geben. Und dazu die neue Rubrik:

Frage des Monats: Dabei gibt es die Möglichkeit Fragen zur Praxis und dem Weg einzureichen, von denen ich eine dann als Videobotschaft beantworte und einstelle. Gibt es mehrere Fragen  greife ich diese womöglich im Monatsbrief auf. Also: her damit! Dies soll jetzt im April starten und Anfang Mai eine erste Antwort finden. Wichtig, die Fragen sollen allgemeiner Natur sein. Die persönlichen gehören weiterhin ins Einzelgespräch. Die Fragen erbitte ich mit Namensnennung, veröffentlicht werden sie aber anonym.

Übungsanleitungen zukünftig findet Ihr eine Reihe von Übungsanleitungen auf der Seite: Anleitung zum Sitzen, geführte Meditationen zur Herzenspraxis, Anleitung Körpergebet…

Manches ist von dem schon umgesetzt, anderes gerade im Werden: schaut einfach mal rein.

Willigis

Mein hochverehrter Lehrer ist am 20. März, dreizehn Tage nach seinem 95. Geburtstag, den ich noch mitfeiern konnte und zwei Tage nach Schließung des Hofes, kurz nach Ankündigung der Ausgangssperre gestorben. Auf seinen Wunsch und der Situation entsprechend wurde er im Kreis seiner Brüder in der Abtei Münsterschwarzach beigesetzt. Ihr könnt das Requiem und die Beisetzung auf der Seite des Benediktushofes sehen. Ebenso ein Video von Alexander zu seinem Heimgang.

Die Trauerfeier am Benediktushof wird erst nach Ende der Beschränkungen stattfinden. Ich werde sie auf der Website ankündigen.

Auch annähernd zwei Wochen nach seinem Sterben ist es mir nur schwer vorstellbar zur Kursleitung an den Hof zu kommen, ohne sein ermutigendes Augenzwinkern und Nicken, seine Begrüßung und sein Fragen. Als ich Anfang der Neunziger nach einer langen schweren Krankheitsphase, noch von der Todesnähe verwirrt und erschüttert zu ihm kam, konnte und wollte ich nicht mehr Pfarrer sein, hatte versucht zu kündigen. Aber schon nach dem ersten Kurs tauchte eine Ahnung auf: so könnte es weitergehen. Es war wie ein Heimkommen, bei gleichzeitiger Fremdheit. Vieles verstand ich nicht vom Inhalt von den Ritualen. Aber er vermittelte immer: Darauf kommt es nicht an: geh in deine Übung, gehe tiefer!“ Nichts habe ich häufiger von ihm gehört. Darum geht es: geh in die Erfahrung. Die Einsicht folgt. Und so formte sich eine neue Sicht des Pfarrer- und Geistlichen Seins. Und es war gerade diese Schlichtheit „ Geh in Deine Übung“, die mich bei ihm hielt. Dann über viele Jahre erst als Assistent, dann als Coleiter Ostern und Weihnachten über fast zwei Jahrzehnte. Alte Feste in neuer Weite. So ist da Dankbarkeit und Verpflichtung bei diesem Abschied. Dankbarkeit für diese Neugeburt pastoraler Identität und Verpflichtung zur Treue zum Praktizieren und dem Weg der Kontemplation.

So wünsche ich Euch gute Wege in und durch diese Krise, Gesundheit, am besten strotzende, klare Entschiedenheit für die Praxis und  gelassene Geduld

In Vorfreude auf Kontakt, Austausch und dereinst gemeinsame Praxis

Sven