Der Ton des Seins erklingt ohn' Unterlass (Kopie 1)

|   Texte und Publikationen

Kontemplation ist das Erwachen zur Erkenntnis

der Gegenwärtigkeit Gottes im Herzen des Menschen

und im ihn umgebenden Universum.

Kontemplation ist Erkenntnis im Zustand der Liebe.

Bede Griffiths

 

Viele Menschen erleben sich in unserer Kultur der Beschleunigung als Getriebene. So wächst die Sehnsucht nach Stille, nach dem Wesentlichen, nach Mitte. Es scheint, als wären wir sowohl als Einzelne wie auch als Ganzes immer wieder an der Grenze der Belastbarkeit. Die dramatische Zunahme psychischer Störungen und die ökologischen Krisenphänomene weisen darauf hin.

Individuell setzen diese Erfahrungen eine Suche aus sich heraus. Wer bin ich jenseits der Rollen, die ich spiele und der Bilder, die ich von mir selbst habe? Wer bin ich jenseits der Ansprüche, die andere und ich selbst an mich stellen? Was macht mich im Tiefsten aus und wozu bin ich da?

Viele Menschen empfinden, gelebt zu werden und empfinden sich damit fremd im eigenen Leben. „Eigentlich bin ich ganz anders. Ich komme nur so selten dazu!“ beschreibt Ödon von Horvath dieses Erleben anschaulich.

Gleichzeitig erleben sich Viele dem Glauben vergangener Lebensabschnitte entwachsen. Die früheren Antworten scheinen nicht mehr zu den Fragen und Herausforderungen der gegenwärtigen Lebenssituation zu passen. Gesucht wird weniger eine Glaubenslehre, sondern ein Weg, der in die Erfahrung dessen führt, wovon die Tradition des Glaubens spricht. So ist es nicht verwunderlich, dass es in den vergangenen Jahren zu einer Wiederentdeckung der kontemplativen mystischen Tradition und des Gebetes der Stille kam.

„Wenn es nur einmal so ganz still wäre…“ sehnt sich Rainer Maria Rilke und mit ihm viele heutige Zeitgenossen. Es gibt eine große Sehnsucht nach zur Ruhe kommen und Stille und gleichzeitig eine große Angst davor. Wir merken: Es ist gar nicht so leicht mit der Stille. Wir sind sie nicht gewohnt. Sie konfrontiert uns in hohem Maße mit uns selbst, mit dem, was ist, wenn nichts mehr ist. Und so haben wir neben der Sehnsucht vielfältige Ausweichstrategien gefunden, uns vor ihrer Zumutung zu bewahren. Trotz der Sehnsucht nach Stille scheint es gleichzeitig eine Stimme in uns zu geben, die uns zögern lässt und dazu führt, doch lieber beschäftigt zu bleiben. Wohl alle, die einen geistlichen Weg zu gehen versuchen kennen dies: Meiner Gebetsübung Zeit einzuräumen hat eine förderliche Wirkung für mich – und gleichzeitig scheint mir vieles oft wichtiger. So nehme ich mir die Zeit für Stille aus vermeintlich guten Gründen dann doch nicht: Der Weg der Stille stellt eine Herausforderung dar.

Die Suche nach Stille gehört von Anfang an zur christlichen Tradition. Der Liebhaber des Lebens aus Nazareth zog sich immer wieder in die Stille zurück, um sich Klarheit zu verschaffen, wer er sei und wozu er da sei (Mt.4.). Die Abgeschiedenheit und Stille wurde für ihn so zum Ort der Begegnung mit dem Kränkenden, dem Verwirrenden und Zerstörerischen, aber eben auch Ort der Klärung und der inneren Vision. Ebenso erging es den Wüstenvätern und Müttern am Beginn christlicher Spiritualität, die sich in einer historischen Situation, der unsrigen durchaus vergleichbar, in die Stille der Wüste zurückzogen. Es war eine Zeit großer gesellschaftlicher Umwälzung. Die bestehende Weltordnung begann zu zerbrechen. Aber auch der christliche Glaube war dabei, seine Kraft zu verlieren, setzte sich durch, wurde normal. In dieser Zeit begannen Einzelne mit dem Rückzug in die Stille der Wüste. Ihre Frage war: „Was ist, wenn alles das wegfällt, was meinen Alltag ausfüllt, mich besetzt und bestimmt?“ Ihre Hoffnung: „Vielleicht erkenne ich das Wozu meines Lebens leichter, wenn ich leer geworden bin.“

Und so haben sich Christinnen und Christen immer wieder der Stille ausgesetzt, manchmal in radikalen Rückzügen und Neuanfängen wie sie die Ordensgeschichte lehrt, manchmal im alltäglichen Leben, um es mit dieser Qualität der Seelenruhe und Herzensgüte zu durchdringen. Immer hatte dies mit einer Bewegung nach innen zu tun, mit Innehalten, Gewahr werden, Präsenz und Geistesgegenwart. Kein Wunder, dass wir diese Qualitäten in unserer turbulenten Zeit, in der wir in epochalen Umbrüchen (Globalisierung,  digitale Revolution, Herausbildung eines durch die Quantenphysik und Neurobiologie bestimmten Weltbildes) neu zu schätzen lernen.

Halt an, wo läufst du hin?

Der Himmel ist in dir.

Suchst du ihn anderswo,

du fehlst in für und für.

Angelus Silesius

Die Dreiheit christlichen Gebetsverständnisses:
Mündliches – betrachtendes –kontemplatives Gebet.

Die christliche Tradition kannte bis in die Neuzeit hinein einen dreifachen Weg des Gebets. Es gab den Weg der mündlichen Gebete. Diese wurden laut oder innerlich gesprochen. Sei es, dass  diese Worte aus der gegenwärtigen Situation selbst entstanden oder bei den Vätern und Müttern des Glaubens geliehen, also  aus- und inwendig gelernt waren.

Daneben gab es seit alters her die Formen des betrachtenden (meditatio) Gebets. Dabei wendet man sich einem Bild, Natursymbol, einem Kunstwerk oder einer Schriftstelle zu, um sie mit allen Sinnen wirken zu lassen und zu erwägen. Beiden Wegen ist eigen, dass sie unsere inneren Kräften (Verstand, Wille, Seele, Gefühl) anregen: Ich spreche das gelernte Gebet oder suche nach angemessenen Worten, ich nehme die Wirkung eines Meditationsobjektes auf mich wahr, beobachte meine Gedanken und Gefühle dabei. Der dritte Weg, der Weg Kontemplation wendet sich in die umgekehrte Richtung. Er versucht, alle meine inneren Kräfte zur Ruhe zu bringen. „Geh in deinen eigenen Grund“ und weil dies noch zu aktiv ist: „Lass dich in deinen eigenen Seelengrund sinken.“ So geht es auf dem Weg des kontemplativen Gebets um ein Einüben in ein fortwährendes Lassen. Die Zurücknahme meiner Ich-Aktivität erhöht meine Ansprechbarkeit für die Tiefendimension des Seins, für die Erfahrung göttlicher Gegenwart.

Die Vier Dimensionen der Kontemplation
Gebetsübung – Einheitserfahrung – Verwandlungsweg – Lebenshaltung

Der Begriff Kontemplation ist nicht eindeutig zu übersetzen. Er ist mehrdimensional. Ursprünglich stammt er vom lateinischen con-templum: im heiligen, umfriedeten, befriedeten Bezirk wohnen, verweilen. Damit sind schon einige Dimensionen angedeutet: Begegnung und Kontakt mit dem Heiligen, der ersten, umfassenden Wirklichkeit; Befriedung im Sinne eines zur Ruhe Kommens; entdecken, wie ich gemeint bin, also mir meines wahren Wesens gewahr werden. So verstanden Mystikerinnen und Mystiker diesen Weg der Kontemplation und Stille als ein inneres Geschehen: Gottesgeburt im Seelengrund  wie Meister Eckhart, als Weg durch die innere Burg wie Teresa von Avila, als Gebackenwerden im Glutofen der Liebe wie Martin Luther es nannte.

So möchte ich Sie herzlich zu einem Weg durch die Grunddimensionen der Kontemplation im Verlauf der nächsten fünf Ausgaben einladen.

Bereits in dieser Ausgabe finden Sie einen ersten Beitrag zur Kontemplation als Übungsweg. „Nimm Platz und werde still – Kontemplation als ganz einfache Übung

Die leibliche Seite des Sitzens in der Stille“. Ja, wenn das mit der Kontemplation nur so einfach wäre. Zumeist ist ja das Erste, was uns beim Stillwerden begegnet  die Unruhe, das Zerstreut Sein, unser getrieben Sein. Die kontemplative christliche Tradition antwortet darauf mit zwei Übungswegen, die uns über diese Klippe helfen wollen. Beide werden in der nächsten Ausgabe mit praktischen Beispielen vorgestellt.

Als kontemplativ werden dann Erfahrungen der Verbundenheit und Einheit verstanden. Diese gibt es in verschiedenen Tiefungsebenen, die von einem Gefühl der Beruhigung und Entspannung bis zu Erfahrungen der mystischen Einheit (unio mystica) reichen.

Wer sich auf den Weg des kontemplativen Gebetes einlässt gerät unweigerlich in einen tiefgreifenden Verwandlungsprozess. Oft kommen wir dabei nochmals in Kontakt mit lebensgeschichtlich erworbenen Verletzungen, die noch nicht ausreichend geheilt und versöhnt sind. Es vollzieht sich ein Prozess, der als Sterbeprozess verstanden werden kann. Dabei gilt es, alte Muster, die sich überlebt haben, Gottesbilder, die einengend wurden und Schutzwälle um mein Herz, welche mich vom Lebendigen trennen hinter mir zu lassen. Es gilt mehr derjenige zu werden, der zu sein ich bestimmt bin.  Gemahlen werden in der mystischen Mühle, gekeltert werden in der mystischen Kelter, Gebackenwerden im Backofen der Liebe Gottes und Sterben des alten Adam nennt die christliche Tradition diesen Prozess.

Die vierte Dimension ist die kontemplative Lebenshaltung. Jeder wirkliche spirituelle Weg führt in den Alltag zurück, wie Willigis Jäger nicht müde wird zu formulieren. Es geht also darum, dass die Haltung der Hingabe in der Übung zu meiner alltäglichen Lebenshaltung wird. Ich lebe dann nicht mehr aus meinem Ich und seiner Aktivität, welches abhängig ist von Gelingen und Scheitern, angenehm und unangenehm und bestimmt von Angst und Lust, sondern aus einer Verankerung im Sein selbst. Was dies für alltägliche Lebensgestaltung bedeuten könnte, fragen die beiden letzten Beiträge dieser Reihe. 

Da sein,

einfach da sein,

einfach ganz da sein,

einfach da sein dürfen,

einfach ganz da sein dürfen,

mit allen, was jetzt da ist,

sich zeigt,

zu mir gehört.

Einfach da sein

und etwas von dem großen „Ja“

erlauschen, erspüren,

welches zu mir,

dir

und allem Lebendigen

gesagt ist.

 Einfach da sein

und ein „Ja“ zu mir,

meinem Leben wie es geworden ist,

zu dir,

und allem Lebendigen finden.

Da sein,

einfach da sein.