Monatsbrief Januar - Februar 2012

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Alle, welche dich suchen, versuchen dich.
Und die, so dich finden, binden dich
An Bild und Gebärde.

Ich aber will dich begreifen
Wie dich die Erde begreift,
Mit meinem Reifen,
Reift
Dein Reich.

 Rainer Maria Rilke

 

Friedrichsdorf, Tag der Epiphanie 2012

 

Liebe Mystik- und Kontemplationsinteressierte !

Liebe Weggefährtinnen und Weggefährten !

Das Fest der Erscheinung am heutigen 6. Januar, in großen Teilen der Christenheit der Tag des Weihnachtsfestes, verbindet viele Motive auch der Kontemplation: Sich auf den Weg machen, ohne zu wissen wohin, getragen und getrieben von einer Sehnsucht nach dem „Anderen“, erfüllt von der Ahnung, dass ein anderes Leben möglich sei, ein tieferes, wahrhaftigeres, ein meinem Wesen gemäßeres. So müssen sie damals losgezogen sein, die drei Magier, Weisen, Wissenden, die von der Volksfrömmigkeit zu Königen gemacht wurden, weil oft nicht die Mächtigen, sondern die mit dem Herzen Einsicht Gewinnenden Würde verbürgen. Herausgerissen aus dem Alltäglichen durch die Hoffnung, dass in aller Gewalt ihres Zeitalters, trotz allen Leidens und im Angesicht aller Ohnmachtserfahrung ein neues Zeitalter, eine neue Möglichkeit zu leben und Mensch zu sein anbricht und sich eröffnet. So folgten sie diesem Stern durch das Dunkel ihres Lebens und ihres Zeitalters und fanden etwas ganz und gar Menschliches: Das Kind - ausgesetzt, ohnmächtig, angewiesen. Kein Paradies auf Erden, sondern durch die Mächtigen bedrohtes Leben.

Dem Dunkel zu trauen, dem Äußeren und dem Inneren, dem, was ist mit offenem Herzen zu begegnen, ja, es in meinem Herzen zu bergen vermögen und den Glanz wahrzunehmen, der allem Lebendigen eignet, darum geht es in der Kontemplation. Wir feiern diese neue Möglichkeit des Lebens bis auf den heutigen Tag. Wir feiern die Menschlichkeit Gottes und das göttliche Wesen des Menschen. In diesem Fest feiern wir unsere göttliche Würde und unser wahres Wesen und die damit verbundene Möglichkeit in dieses neue Sein hinein zu reifen: Die Verbundenheit, das Intersein alles Lebendigen zu realisieren, lebensförderliche und schöpfungsfreundliche Lebensformen zu entwickeln, im Angesicht einer auslaugenden Kultur Maß und Mitte zu pflegen.

Wir tun dies in der immer neuen Hinwendung zur Stille, der Einkehr in die kontemplative Übung, der Übung des Zurücktreten-Lassens unseres Ichs mit seine Absichten, Wünschen, Befürchtungen, Mustern. Von diesem Raum „jenseits“ unserer Vorstellungen und Konzepte spricht Rainer Maria Rilke, wenn er dichtet: Alle, die dich suchen, versuchen dich und Alle, so dich finden, binden dich an Bild und Gebärde. Dieses Suchen und Wollen wird im Laufe des inneren Weges selbst zum Hindernis. Es verhindert die Einwilligung und das Einswerden mit diesem gegenwärtigen Augenblick. Und immer sind unsere Vertiefungserfahrungen bedroht, selbst festlegend, selbst Maßstab zu werden, wo das Mysterium der göttlichen Gegenwart doch mein Fassungsvermögen immer übersteigt. Deshalb: Ich will dich begreifen wie die Erde dich begreift: Ein anderer Text beschreibt es so: Ich sprach zum Mandelbaum: „Rede mir von Gott.“ Da begann er zu blühen. Das hinter uns liegende Fest steht uns gleichzeitig bevor: Es gilt hinein zu reifen in wahres Menschsein – individuell wie kollektiv. Mit meinem Reifen, reift dein Reich, nennt dies Rilke.

Dem will unsere Weggemeinschaft und unser gemeinsames Praktizieren auch im neuen Jahr dienen. Nun bin gespannt auf die Begegnungen des neuen Jahres und freue mich auf gemeinsames Praktizieren.

Sven-Joachim Haack