Der Ton des Seins erklingt ohn' Unterlass

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Klangschalen in geistlicher Übung, Seelsorge und spiritueller Begleitung

Ausgehend von einer persönlichen Erfahrung weist der Autor, der als Pfr., Klinikseelsorger in Psychiatrie, Suchtrehabilitation und Psychosomatik und als Kontemplationslehrer arbeitet, auf Verwendungsmöglichkeiten von Klangschalen in der pastoralen Arbeit hin. Diese ursprünglich in den östlichen Traditionen beheimateten Klanginstrumente haben vielerorts auch bei uns als „transportable Glocken“ Eingang gefunden. Sie dienen als Wegbegleiter in die Stille, zu sich selbst und ins Mysterium der göttlichen Gegenwart.
Eine erste Erfahrung:
Wegbegleiter in die Stille
In der Evangelischen Akademie Arnoldshain besuchte ich vor zwei Jahrzehnten einen Kurs, in dem es auch um das Gebet der Stille, das Sitzen in der Stille ging.
Wie üblich wurde einer dieser Zeiten, die wir gemeinsam sitzend und schweigend verbrachten, mit drei Klängen einer Klangschale eingeleitet. Und dabei geschah es. Ich hatte dies ja nun schon einige Male erlebt, aber dieses Mal war mein Erleben völlig anders. Es war kein äußerer Klang. Der Klang war in mir und außerhalb gleichzeitig. Nein, eigentlich gab es gar kein Innen und Außen mehr. Da war nur der Klang, der gleichzeitig in eine umfassende Stille führte.
Eine Stille hinter der Stille, die so groß und umfassend war, dass auch Geräusche sie nicht zu zerstören oder auch nur zu stören vermochten. Für mich ein begnadeter Moment der erlebten Verbundenheit, in welchem sich alles Fragen aufgelöst und einem umfassenden Frieden Platz gemachte. Meister Eckhart beschreibt etwas davon:
Draußen stehen wie drinnen,
begreifen und umgriffen werden,
schauen und das Geschaute sein,
(hören und das Gehörte sein),
halten und gehalten werden
das ist das Ziel
….
Denn Gott will im Einssein des Schauens und Lauschens
die Fruchtbarkeit im Wirken.
Nun sind diese Momente, deren innerer Erfahrungswert durch sprachliche Rekonstruktion nur unzureichend auszudrücken ist, nicht machbar. Sie sind gnadenhafte Zu-fälle, die geschenkt werden. Sie nähren die Seele in besonderer Weise und stellen eine Aufforderung dar, an einer Verfassung zu arbeiten, in der die eigene Durchlässigkeit ein erneutes Auftreten fördert. „Erhöhung der Unfallwahrscheinlichkeit“ nennt dies der amerikanischen Zen-Lehrer Richard Baker Roshi. Dem dient alle geistliche Übung. Es ist also weniger so, dass Gott etwas Außergewöhnliches in diesen Erfahrungen der Nähe, Verbundenheit und Einheit täte. Vielmehr realisieren wir in diesen Momenten, was immer da ist: den Urgrund des Seins, das Mysterium göttlicher Gegenwart.
Die Klangschalen können uns mit ihrem Verklingen in diesen Raum der stillen Präsenz mitnehmen und uns helfen, uns ihm hinzugeben. So ist es nicht verwunderlich, dass sie häufig als strukturierendes, wegbegleitendes Element am Anfang und Ende von Phasen der Stille Verwendung finden.
Klanggruppe in der Psychiatrie –
Klangschalen als Wegbegleiter zu mir selbst
Die ökumenische Klinikseelsorge Friedrichsdorf bietet in der dortigen psychiatrischen Klinik auf der Station für Menschen mit depressiven Störungen eine Klanggruppe an. Depressive Menschen leiden häufig unter einem Verlust des Erlebens innerer Verbundenheit, Gefühlen der Leere und Unberührbarkeit, der Angst, sowie Gedankenketten, die katastrofische Phantasien fördern. Um aus diesem Erleben herauszufinden erweisen sich die Klangschalen als ein wirkmächtiges Instrument. Immer wieder stellt die Wahl der eigenen Klangschale für diese Gruppenstunde eine Öffnung zu eigenem inneren Erleben dar. Aus einer größeren Gruppe diejenige Klangschale zu finden, welche mich besonders anspricht, setzt ein Spüren nach Innen in Gang. Dabei kommt der inneren Resonanz der Klänge große Bedeutung zu. Und Menschen, die sich innerlich als wie tot und unberührbar erleben, gewinnen Zugang zu ihrem inneren Erleben im Hier und Jetzt: Dies stellt häufig einen wesentlichen Schritt auf dem Heilungsweg aus dem inneren Gefängnis dieser Störung heraus dar. Der obertonreiche Klang bringt ins Schwingen, was wie verhärtet, blockiert und gelähmt erlebt wurde. Ich werde wieder berührbar und dadurch zu Lächeln oder zu Tränen verlockt. Die Schwingungen des Klangs tauen auf, was eingefroren war. Neben diesem Heilungsaspekt legt die mystische Tradition zudem Wert auf die Beziehung von Selbst- und Gotteserkenntnis: „Geh deinem Gott entgegen – bis hin zu dir selbst!“, nennt dies Bernhard von Clairvaux. So führt diese Verlebendigung auch einen Schritt näher zu meinem Herzen, in dem Gott selbst wohnt.
Klänge im Einzelgespräch-
Wegbereiter durch Blockaden hindurch
Auch in der Situation des Einzelgesprächs setze ich immer wieder Klangschalen ein. So kann dies zu Beginn einen Moment gemeinsamen Lauschens eröffnen, in dem wir uns auf die umfassendere größere Wirklichkeit beziehen. Oder gerade wenn spürbar ist, dass wir in einem Kreisen der Gedanken und Argumente stecken zu bleiben drohen, sich keine Tiefung und Beseelung im Gespräch einstellt, kann ein Wechsel hin zum direkten Klangerleben hilfreich sein. Manchmal ist mein Gegenüber aber auch so in Emotionen gefangen und angespannt, dass es sinnvoll ist, zunächst nach Entspannung und Entängstigung zu suchen. Und immer einmal wieder endet ein solches Gespräch mit einer Klangsegnung.
Klangmeditation und Klangmassage –
Wegbegleiter auf dem Weg zum unbeschädigten inneren Raum in mir
Als besonders intensiv in der entspannenden und klärenden Wirkung wird von den meisten Menschen die Klangmassage erlebt. Dabei werden mehrere, den verschiedenen Körperregionen zugeordnete, Klangschalen direkt auf den Körper gestellt und angetönt. Somit wird die Schwingung des Klangs direkt auf den Körper übertragen. Die Wirkung ist vielfach naturwissenschaftlich erforscht und findet ja auch in unterschiedlichen therapeutischen Kontexten Verwendung. Ich praktiziere dies sowohl in Einzelsituationen, wie auch in Gruppen, sowohl im klinischen Kontext als auch in Kontemplationskursen. In Vordergrund steht dabei die Tiefenentspannung, welche in verschiedenen spirituellen Traditionen als Voraussetzung zur Hingabe verstanden wird. Die durch Blockadelösung entstehende Ent-spannung hilft, mich dem tragenden bergenden Grund leibhaftig stärker anvertrauen zu können, wodurch dies in hohem Maß vertrauensfördernd wirkt. Damit
können mich die Klänge zu einer inneren Bewegung hin zu dem Raum in mir anregen, in welchem es still ist, friedlich und wo keine lebensgeschichtlich erworbene Verletzung hinreicht. Christlich wird dies als der Ort verstanden, wo Gottes, vor Ewigkeiten gedachtes, Bild von mir ruht – er mir also näher ist, als ich es mir selbst bin.
Klangsegnung-
Klänge als segnende Berührung
In den letzten Jahren hat sich in der Praxis der „Friedrichsdorfer Initiative Kontemplation und Mystik-Spiritualität und Lebenskultur aus der Stille“ die Klangsegnung entwickelt. Diese findet manchmal in der Einzelsituation, zumeist aber am Ende einer Gruppe statt. Dabei steht ein Mensch in einer großen Klangschale, welche angetönt wird. Zudem wird mit einer zweiten, zumeist der Herzregion zugeordneten, Schale gearbeitet und dies wird mit einem Segenswort verbunden. Manchmal wird dies als ein umhüllt, immer wieder auch als ein leibhaftiges ausgefüllt werden durch Klang und Segenswort erlebt.
Der Ton des Seins erklingt ohn`Unterlass...
Der Ton des Seins, das große „Ja“ zu allem Lebendigen erklingt ohne Unterlass. Die Frage aber ist, ob ich so gestimmt bin, dies vernehmen und wiedertönen zu können. Kann ich die Kostbarkeit dieses gegenwärtigen Augenblicks, das Wunder meines Lebens und allen lebendig seins und das Mysterium der göttlichen Gegenwart realisieren? Ist dies alltagsbestimmend für mich? Geistliche Übung, Seelsorge und spirituelle Begleitung wollen auf dem Weg zu dieser Erfahrung unterstützen. Klangschalen können uns auf diesem Weg in die Stille, die Selbstbegegnung, die Lösung von Blockaden, die Heilung lebensgeschichtlich erworbener Verletzungen und das Mysteriums der göttlichen Gegenwart als hilfreiche Instrumente geleiten.